die Monosmie X und wir
Seit 10 Jahren ist die Monosomie X ein Teil unserer Familiengeschichte. Gehört als Puzzleteil zum Sein meiner Tochter dazu. Wegen der pränatalen Feststellung, meiner Unkenntnis und, weil sich einfach auch erst zeigte, wie die chromosomale Variante sich auswirkt, brauchte es Zeit bis es „passte“ und sich dieses Puzzleteil in das Gesamtbild einfügte. Das ist ein Prozess. Wir lernten dazu. Tun es immer noch. Das Tochterkind entwickelt sich, sodass uns auch immer mal „Neues“ herausfordert, was wir gemeinsam meistern.
In wenigen Tagen steht der Kontrolltermin beim Kardiologen an. Das ich davor angespannt bin, wird sich wahrscheinlich nie ändern. Und ja, so mancher andere Arztbesuch nervt nicht nur das Kind. Die Organisation ist mitunter eine Mammutaufgabe. Und wir empfinden beide die Blutentnahme beim Endokrinologen als Tortur. Da lässt sich auch nichts schön reden, abtun oder ähnliches. Aber wir haben für uns einen guten Umgang damit gefunden. Die betäubende Salbe hat die Verkrampfung des Kindes, die Anspannung und das Unbehagen nicht gelöst. Keine Ablenkung sonder der direkte Fokus auf das, was vor sich geht, klare und verständliche Erklärungen, machten es leichter. Und das, obwohl mein Tochterkind sonst sehr für Fantasie und blumige Geschichten empfänglich ist.
Ehrliche Worte und ein offener Umgang sind bei/für uns unglaublich bedeutend.
Das Tochterkind fragt viel, will wissen, fordert Erklärungen ein, teilt gleichzeitig auskunftsfreudig ihre Gedanken und mittlerweile auch ihre Gefühle. Wir können uns austauschen. Sie kann sich mit Anderen unterhalten (Scham steht ihr da nicht im Weg). Auch wenn ich manchmal ins Schwitzen komme nicht nur bei der Suche nach kindgerechten Formulierungen.
Von Anfang an setze ich mich mit der Monosomie X und ihrer Bedeutung für uns auseinander, mit dem, was möglich und nötig ist beim Gesundheitsmanegment, an Unterstützung oder Wissenszuwachs. Mit der Wachstumshormongabefrage habe ich mich zum Beispiel echt gequält. Schlussendlich hat das Kind mit 8 Jahren deutlich signalisiert, was sie möchte. Alleine hätte ich sie nicht entscheiden lassen. Aber das Kind bestimmt mit. Sie hat ein Mitspracherecht. So kam es, dass bei uns seit einem Jahr „Stella“ (unser Name für das Injektionsgerät) im Kühlschrank steht und abends „gestellart“ wird.
Ich bin irgendwann dazu übergegangen die Bezeichnung „Monosomie X“ zu verwenden.
Für mein Empfinden wird damit einfach eine Tatsache betitelt und weniger die statistisch möglichen Auswirkungen. Außerdem war mir „Ullrich-Turner-Syndrom“ im Sprachgebrauch zu „sperrig“ und die Abkürzung „UTS“ wiederum zu „codiert“. Genau das ist aber der Punkt. Da steht „Ich“. Das hier ist ein persönlicher Blog. Ich schreibe MEINE Meinung und über MEINE Ansichten, Gedanken und Gefühle. Teile UNSERE Erfahrungen, zeige, dass es noch ganz viele andere Themen in UNSEREM Leben gibt, dass ich mir über beide Kinder meine Gedanken mache. Dabei soll deutlich werden, dass wir alle Stärken und Schwächen haben. Perfekt unperfekt sind und einfach jeder Mensch x-mal anders ist.
Ich bin eine (wenn auch leise) persönliche Stimme in diesem Internet.
Fachlichen Rat, wissenschaflich fundiertes Wissen und professionelle Unterstützung gibt es andernorts. Weil ich erfahren durfte, wie bereichernd es ist sich über Erfahrungswerte auszutauschen, wieviel mehr Lebensbilder als Krankheitsbilder helfen können, schreibe ich hier (immer noch). Als Mutter. Als Mensch. Lasse stehen, als Zeichen der Entwicklung, was ich heute vielleicht anders bewerte, und ergänze neue Informationen.
Ich halte also fest: meine Tochter (mein erstes Kind) ist mit einer Monosomie X geboren. Das ist ein Puzzleteil, von dem, was zu ihrem Sein gehört. Wir gehen mit den Auswirkungen, die es bei ihr hat, um und ja, es ist eine Aufgabe. Mal leichter. Mal schwerer. Aber kein Elend. Manchmal eine Zusatzaufgabe. Manchmal spielt es gar keine Rolle.
Genauso wie es eine Aufgabe ist darauf zu achten, dass es allen Familienmitgliedern gut geht, dass Miteinander zu gestalten, dass Leben zu leben. Mit Höhen und Tiefen. Unter der Bedingung, dass der Vater der Kinder und ich mittlerweile geschieden sind. Mit Mental Load. Mit Alltagszauber. Mit strukturellen Hindernissen. Mit Leidenschaften. Mit persönlichen Problemen. In einer Gesellschaft, die sozialer, inklusiver und kinder- sowie familienfreundlicher sein könnte. Vom Notstand im Bildungs- und Gesundheitswesen fang ich jetzt nicht an.
Meine Kinder sind zauberhaft. Mit ihrem jeweiligen Chromosomensatz und auf ihre Art. Sie sind liebenswert. Beide sind wundervoll.
Das ist jedoch kein romantisierter und normativ aufgeladener Topos für mich. Das schließt nicht aus, dass es anstrengend ist mit ihnen (und mir). Diese Gleichzeitigkeit beim Erleben, dass das Eine nicht das Andere automatisch ausschließt, macht unser Leben aus. Die Vielfalt macht es x- mal anders. Persönlich im Inneren ebenso wie im Außen.
Wer entscheidet, wie das eigene Leben ist? Wann es lebenswert ist und wann nicht? Was macht das Leben lebenswert?
Eure Anne
Leben mit KindernMonosomie XUllrich-Turner-Syndrom
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