Das Ullrich-Turner-Syndrom
Was ist das eigentlich?
Das Ullrich-Turner-Syndrom (kurz UTS), oder auch nur Turner-Syndrom genannt, ist eine Chromosomensatzvariation. Benannt wurde es nach den Ärzten, die es entdeckten und erforschten.
Chromosomen sind die Träger unserer Erbinformationen. Sie bestehen aus unserer DNA. Menschen haben in der Regel 46 Chromosomen in jeder Körperzelle. Mit zwei X – oder einem X – und einem Y – Chromosom.
Wenn es bei der Zellteilung der Ei- oder Samenzelle zu einer fehlerhaften Verteilung kommt, hat ein Embryo jedoch eine veränderte Chromosomenzahl.
Im Falle des Turner-Syndrom wird beim Fehlen des X in jeder Zelle von einer Monosomie X (45,X oder 45, X0) gesprochen. Dabei war meist noch vor der Befruchtung die Chromosomenanzahl in Ei- oder Spermienzelle verändert.
Es kommt jedoch auch vor, dass in einigen Körperzellen beide Geschlechtschromosomen vorhanden sind. Dann wird von Mosaik – Form gesprochen. Dabei tritt der Verlust erst während der embryonalen Zellteilung nach der Befruchtung auf.
Es kommt auch vor, dass das zweite X-Chromosom nicht fehlt, sondern strukturell verändert ist. Dadurch ergeben sich weitere „Untertypen“ wie z.B. Vorhandensein von Y-Material, Ring- oder Isochromosom
Das Turner- Syndrom kann in verschiedenen Stadien des Lebens diagnostiziert werden.
- Zufällig in der Schwangerschaft durch die frühen Bluttests oder durch andere Untersuchungen, welche durch Indikatoren wie Wassereinlagerungen, die Nackenfalte, fetale Auffälligkeiten durchgeführt werden
- Nach der Geburt können geschwollene Hände und Füße, eine zarte Statur oder Herzprobleme zu weiteren Untersuchungen führen
- In der Kindheit fällt meist die Größe im Verhältnis zu Gleichaltrigen aus dem Rahmen und zu einer endokrinologischen Klärung wird geraten
- In der Jugend führen Indikatoren wie Kleinwuchs, ausbleibende Menstruation und eine mangelnde körperliche Entwicklung zur Abklärung
- Im Erwachsenenalter kann es durch einen unerfüllten Kinderwunsch, eine geringe Statur in Verbindung mit Hör-, Herz- oder Blutdruckproblemen zur Diagnostik kommen
Durch Entnahme einer Blutprobe, Fruchtwasser oder eines anderen Gewebes und Untersuchung des genetischen Materials wird die Diagnose bestätigt.
Wie wirkt sich das Syndrom aus medizinischer Sicht aus?
Die Variabilität ist enorm. Die Liste mit Eventualitäten ist lang. Sowohl beim Erscheinungsbild als auch bei weiteren Befunden. Bei allen möglichen Symptomen spielt jedoch auch die individuelle Vererbung, also die Familienanamnese, eine Rolle.
Die Hauptsymptome sind eine geringe Körpergröße, unterentwickelte Eierstöcke und eine ausbleibende Pubertät. Im März 2021 ist eine neue Patienteninformation hier erschienen. Seit April 2019 werden spezielle und interdisziplinäre Behandlungszentren in Deutschland sukzessive aufgebaut. Um die Betreuung zu gewährleisten und den 2017 erschienenen internationalen Leitlinien mit empfohlenen regelmäßigen Untersuchungen nachzukommen.
Empfohlen wird besonders: Blutdruckmessung, Bestimmung von Blutzucker, Blutfetten, Leberwerten, Herz-Ultraschall, HNO-, Haut- und augenärztliche Kontrollen. Gut zu wissen ist, dass Typ 2-Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Osteoporose und Zöliakie überdruchschnittlich häufig auftreten.
Aus medizinischer Sicht gehört das UTS zu den „Varianten der Geschlechtsentwicklung„, was aber noch nichts über die Geschlechtsidentität aussagt.
Mädchen und Frauen, die mit dem Ullrich-Turner-Syndrom/Turner-Syndrom bzw. einer Monosomie X geboren wurden, bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Normalität, seltener Erkrankung und Behinderung. Hinzu kommt die Frage, ob es überhaupt ein „Label“ braucht? Die Kategorisierung jedenfalls hängt von den individuellen Auswirkungen/Symptomen ab, von der persönlichen Einstellung bzw. der Selbstwahrnehmung genauso wie vom gesellschaftlichen oder medizinischen Kontext.
Erklärung „Was ist Ullrich-Turner-Syndrom?“ in Englisch aus dem WWW:
Erklärungen für Kinder:
Ein Ansatz zur Erklärung ist die „Baustein“-Verbildlichung. Sie besagt, dass jeder Mensch aus 46 Bausteinen besteht. Beim UTS fehlt ein Baustein oder ist kaputt. Das führt dann zu…
Ein anderer Erkläransatz: Stell dir vor ein Chromosom wäre ein Buch mit Kapiteln (= Gene). In einer Buchreihe mit 44 Büchern und 2 Sonderbänden (= Chromosomensatz) steht wie der Mensch aufgebaut ist und funktioniert. Jede Büchersammlung ist einmalig und befindet sich eigentlich in jeder Zelle. Bei einer Monosomie X fehlt ein Sonderband in jeder Zelle und dessen Informationen. Bei einer Mosaik-Form fehlen nur einzelne Kapitel oder die Schrift ist unleserlich oder die Buchstaben sind durcheinander geraten in dem Sonderband. Und manchmal sind in einer Zelle alle 46 Bände und in einer anderen nur 45 Bücher. Je nach Symptomen kann der Erkläransatz angepasst werden: In einem Buch steht, dass…
Was ist das UTS? – ein Arzt erklärt:
Eine weitere Herangehensweise formulierte Dr. Jens Pagels – Chefarzt am St. Josef Krankenhaus Moer. Ich darf seine Ausführungen hier teilen. (Vielen Dank!)
Mädchen und Frauen, die mit dem Ullrich-Turner-Syndrom geboren sind, sind bei Weitem nicht alle krank! Der überwiegende Teil dieser Menschen ist ein bisschen „anders“, eher kann man sagen „besonders“. Im Erbgut, welches jeder Mensch hat, liegt der Grund für das „Besondere“. Dort wird ein kleiner Teil – ein Chromosom- vermisst. Das Fehlen dieses Teils bewirkt, dass die Frauen und Mädchen eben besonders sind.
Vergleich: Stell dir ein Feld mit roten Tulpen vor. Irgendwo, mitten im Feld steht plötzlich eine gelbe Tulpe. Wenn du genau hinsiehst, findest du auch noch weitere davon. Es ist doch eigentlich sehr schön, dass das immerwährende Rot, durch einen kleinen Farbtupfer aufgelockert ist, oder? Das ist nicht so langweilig, geradezu erfrischend und schön!
Manchmal kommt es vor, dass eine gelbe Blume nicht ganz so gerade gewachsen ist, wie fast all die Roten. Vielleicht fehlt auch eines der
Blütenblätter! Wenn das so ist, dann stimmt mit der gelben Blume vielleicht etwas nicht so ganz. Vielleicht muss der Stil aufgerichtet werden? Vielleicht ist das alles aber auch nicht so schlimm.
Manche Frauen und Mädchen mit dem Ullrich-Turner-Syndrom haben Krankheiten, wie bei den Blumen, bei denen ein Blütenblatt fehlt. Diese Menschen müssen dann zu einem Arzt, der versucht zu helfen. Vielleicht haben sie etwas am Herzen oder sie bleiben etwas kleiner als andere. Es gibt ein paar andere mögliche Unterschiede in der Entwicklung, wenn man ganz genau nachsieht.
Wichtig ist: Nur Veränderungen, die die gelbe Blume wirklich gefährden, müssen vom Blumen-Arzt behandelt werden! Ansonsten freuen wir uns mit den gelben Tulpen, denn sie sind „besonders“ und so schön, wie die anderen.
Kunjs
Hallo. Mal zwei Fragen zum Text.
Frage 1: Warum wird medizinisch immer behauptet, es sei normal zwei XX oder XY Chromosome zu haben bzw. der Durchschnittsmensch hätte das? Die können doch nicht alle Menschen genetisch untersucht haben oder etwa doch… Normalerweise weiß der Durchnittsmensch wahrscheinlich nicht, ob er XX oder XY hat oder intergeschlechtliche Variationen.
Frage 2: Warum wird hier wieder etwas romantisiert, das in Wahrheit für Betroffene schlecht ist?
Eine „gelbe Tulpe“ unter roten, ist doch wie das weiße Schaf unter Wölfen. Mit all den Nöten, die diese Existenz so mit sich bringt. Es ist nicht ethisch einem Lebewesen Leid auszusetzen, – Leid, das hätte vermieden werden können. Das zu romantisieren ist unfair und sadistisch.
Anne
Meine indirekte Antwort: /blog/2022/05/27/die-monosmie-x-und-wir
m_mic
Es ist zwar länger her aber ich habe mich, abseits meiner Bestrebung an Diskussionen in den Kommentaren mich nicht zu beteiligen, doch noch entschlossen in diesem spezifischen Fall eine Ausnahme zumachen.
Antwort 1: Ich bin IT’ler und kein Mediziner von daher rate ich dir diese Frage an jemanden zu stellen mit mehr Kompetenz in diesem Fachbereich. Und bitte nicht einfach googlen ohne Quellen zu prüfen. Meine These dazu teile ich mit dir dennoch gern. Ich vermute, dass diese „Behauptung“ auf Beobachtung und Untersuchung einer statistisch signifikanten Anzahl an Menschen, die ausreichend groß ist das auf einen Durchschnitt der Menschheit festzumachen, gestützt ist. Davon abgesehen kommt das XX/XY System nicht nur beim Menschen sondern auch noch bei anderen Säugern, einigen Insekten und weiteren Gattungen vor. Was die Anzahl an „Probanden“ für Studien drastisch erhöht. Ich für meinen Teil bin mir zumindest zu 99.99% sicher eine XY Chromosomen Kombination zuhaben und etwas anderes würde mich sehr stark wundern.
Antwort 2: Gut das du den Punkt der Ethik selbst eingebracht hast. Also entscheidest du wann ein Leben lebenswert ist und wann nicht? Auf Basis wo von? Deinem unaufgeklärten Weltbild? Deiner Verbitterung, die ich aus dem Kommentar lese? Deinem Unverständnis zu wissenschaftlichen Methodik?
Ich habe ein aufgewecktes, empathisches, kreatives und intelligentes Kind kennenlernen dürfen, das -jawohl- auch mit gesundheitlichen Einschränkungen leben muss. Auf mich hat es dennoch einen sehr lebensbejahenden Eindruck gemacht und es wäre sehr schade, wenn es nicht Teil dieser Realität wäre. Ich halte noch einmal fest: […] mit sich bringen kann.
Ist dir eigentlich bewusst wie verletzend dein unüberlegter Kommentar auf andere wirken kann? Unfair und sadistisch gebe ich in diesem Kontext zurück.