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Alles eine Frage des positiven Denkens?

Alles eine Frage des positiven Denkens?

Der Sonnenschein, das knospende Grün, die sprießenden Farbtupfer, guter Kaffee in angenehmer Gesellschaft, eine Umarmung, das Lachen der Kinder – das und so viel mehr ist Balsam für die Seele. Es sind gute Momente und Alltagszauber. Trotz des Drumherums, abschweifender Gedanken, Mental Load, Alltagsstress, Begebenheiten (in der Welt), die beängstigen und für mich nicht änderbar sind, Kummer oder Sorgen. Ich strenge mich ganz schön an, um diese wertvollen, Kraft gebenden und wundervollen Momente zu registrieren, anzuerkennen und zu genießen. Sie als Ausgleich ungefärbt sein zu lassen. Vielleicht sogar zuzulassen… Ich strenge mich auch an, um bestehende Gedankenmuster und Gedankenkarusselle zu unterbrechen, die Perspektive zu wechseln und dazuzulernen.

Alles eine Frage von positivem Denken?

Nein. Doch viele Ratgebende und Coachende, Bücher, Kalendersprüche und Co. verkünden, dass positives Denken (und Affirmationen), nur genug Anstrengung und Wille dazu führen, dass Glück und Erfolg im Leben herrschen und Träume wahr werden. Mit einer einzigen Entscheidung, nämlich positiv, selbstbejahend und optimistisch zu sein, lassen sich alle Probleme lösen. In einer leistungsorientierten Gesellschaft im Zeichen von Effektivitätsstreben und Perfektionismus sind wir selbst schuld, wenn wir keinen Erfolg und Probleme haben und nicht anhaltend „happy“ sind.

Der Einfluss der Lebensrealität, des sozioökonomischen und sozialen Status, struktureller Probleme und der Persönlichkeit bleibt dabei unbeachtet und es wird völlig undifferenziert verallgemeinert. Was mich schon stutzen lässt. Und dann löst das starre Fokussieren auf den Verstand bzw. das positive Denken als einzige Quelle oder als einzige „Stellschraube“ für Veränderungen, Erfolg, finanzielle Sicherheit, Gesundheit, Bildungschancen, Inklusion, gute Momente und Positivität bei mir Stress aus. Gar ein Unzulänglichkeitsgefühl. Und Widerstand. Die Fixierung und das Übermaß an Konzentration auf das Denken ist zu einseitig und zu überladen. Wie könnte da ein Gleichgewicht bewirkt werden? Noch fraglicher, wo doch die Tatsache, dass alles in Beziehung zueinander steht und sich gegenseitig beeinflusst, unberücksichtigt bleibt… Es herrscht ein Zusammen- und Wechselspiel. Im Inneren wie im Außen.

Positiv Denken allein reicht nicht.

Dass unsere Gedanken und Bewertungen, (die ja im Übrigen auch nicht von Ungefähr kommen), unser Erleben und Handeln beeinflussen, bestreite ich nicht. Doch, und das ist in diesem Zusammenhang bedeutend, das Denken kann zu nichts führen, wenn die Emotionen herrschen, eine innere Leere alles zu schlucken versucht oder Gefühle (die ihre Berechtigung und Gründe haben) ausgeklammert werden. Ohne Gefühle – jeglicher Art – geht es nicht, die gibts außerdem nur im Paket, und das Außen wirkt auch ohne Mindset.

Zum Einen kann ich mir zig mal vorm Spiegel sagen „Ich bin schön, klug und werde reich“, wenn da nicht wenigstens ein Funke ist, der mich das fühlen lässt, bleibt die Aktion/ Affirmation effektlos. Zum Anderen gibt es Begebenheiten, die ich einfach nicht beeinflussen kann, die scheiße sind und sich nicht schönreden lassen.

Jeden negativen Gedanken, jedes unwohle Gefühl und jede problematische Situation mit etwas Positivem zwingend ausgleichen zu wollen, wegzulächeln, kleinzureden, zu verleugnen, wegzuaffirmieren oder auszublenden, führt nicht dazu ein gesundes Leben zuführen. Wenn ich nur an den Gedanken „schraube“, führt es nicht dazu, dass ich mit Gefühlen umgehen kann, schmerzhafte Erfahrungen verarbeite, mit überflutenden Erinnerungen klar komme, Herausforderungen mühelos angehe… Es verbindet Empfindungen und Gedanken nicht miteinander. Es ändert keine strukturellen Problem. Macht keine Toten lebendig… Es kann kein Gleichgewicht entstehen und brodelt ohne Ventil. Schwierigkeiten werden abgewertet, Probleme werden ausgeklammert, die Schattenseiten werden (aus der Öffentlichkeit) verdrängt, ignoriert, verleumdet, verschleiert… Das menschliche Sein wird reduziert und in seiner Ganzheit abgelehnt.

Die Fixierung auf das Denken als „einzige Lösung“ oder als einzigen Auslöser finde ich problematisch. Die Fokussierung allein auf das positive Denken ist nicht entwicklungsförderlich.

Was nu stattdessen?

Auf der Suche nach Halt, hielt ich mich an Phrasen und Plattitüden fest und fragte mich, warum es nicht „funktioniert“. Mit dem Verständnis, dass ich x-mal anders fühle und denke. Mal das Eine, mal das Andere das Erleben und Handeln maßgeblich färbt, habe ich eine andere Basis für mich… Mit Kopf, Herz und Hand.

Ich versuche mich auf die Wahrnehmung dessen, was da ist an Gedanken und Gefühlen, zu konzetrieren, zu hinterfragen, zu verstehen (jedenfalls in Ansätzen), auszutrarieren, abzugleichen, auszubalancieren und anzunehmen. Mit „Fuck“-, „Fuck it“-, „Lucky“-, „So what“- und Fragezeichenepisoden. Mit Abgründen. Mit Schatten. Mit Gefühl. Mit destruktiven und konstruktiven Gedanken. Mit Versuchen. Mit Irrtümern. Mit Aufmerksamkeit. Mit Kopf, Herz und Hand…

Statt mich verbissen auf den Verstand zu beschränken, versuche ich den Prozess der Individuation ganzheitlich zu gestalten. Dabei dürfen diese eingangserwähnten wertvollen Momente, die hilfreichen Aktionen, die konstruktiven Gedanken und die Gefühle ihren nötigen Raum einnehmen…

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Gedankentoxische Positivität

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