zwei Leseempfehlungen zum Rare Disease Day 2023
Weltweit wird im Februar und im Besonderen am letzten Tag des Monats auf seltene Erkrankungen aufmerksam gemacht. „Selten“ bedeutet in Europa, dass nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen mit einer bestimmten Diagnose leben. Für sich genommen mögen die einzelnen Erkrankungen selten sein, doch zusammengenommen sind es viele. Es gibt Tausende vielfältige und verschiedene „Orphan Diseases“-Befunde. In Deutschland leben etwa 4 Millionen, in Europa etwa 30 Millionen und weltweit 300 Millionen, Menschen mit einer (oder gar mehreren) seltenen Erkrankungen. Die meisten verlaufen chronisch und sind medizinisch komplex. Viele sind genetisch bedingt, darum sind oft Kinder betroffen. Da der „Bauplan des Lebens“ in den Genen steckt, äußern sich Veränderungen oder Unstimmigkeiten entsprechend früh im Leben aka der Kindheit. Informationen, um verstehen und handeln zu können, sind elementar wichtig im Umgang mit selten bzw. chronischen Erkrankungen. Für die Behandlung genauso wie für die Personen selbst. Daher möchte ich heute zwei dazu passende Kinderbücher vorstellen.
IDA und der Berg im Funkelwald
Ida ist ein junges, aufgewecktes Mädchen. Wild. Laut. Voller Flausen. Als sich dies ohne ersichtlichen Grund ändert, sie müde und kraftlos wird, geht es mit Mama an der Seite zu Untersuchungen in die Kinderklinik. Dort, im Bett liegend, fragt Ida: „Warum passiert das mit mir?“. Ihre Mama erzählt ihr daraufhin eine Geschichte.
Auch die Fee Ida im Funkelwald fühlt sich nicht gut. Ihr Fuchsfreund Lolli sucht darum Rat bei Hokuspokus. Ein riesiger, dunkler Berg klaut dem Funkelwald die Farben und macht Ida krank, erklärt dieser. Lolli zögert nicht und gemeinsam mit vielen Waldbewohnern schaffen sie es den Berg abzutragen, sodass es der Fee Ida besser geht. Wie der Ida im Krankenhaus.
Von da an gilt: Das, was die Kraft raubt, muss bewacht werden.
eine mutmachende Verbindung von Realität und Fantasie
Im Prozess der Diagnosefindung braucht es zum Verstehen und Einordnen zum Einen sachliche, ehrliche und kindgerechte Erklärungen und zum Anderen eben Fantasie, die zum Beispiel Situationen wie notwendige Untersuchungen erträglicher macht. Gespräche, weil so zu tun als wäre nichts, verunsichert ungemein, unterstützen den aktiven Umgang dabei. Ida bietet sich an dieser Stelle als Einstieg an. Auf dem Cover steht, dass Kindern chronische Krankheiten erklärt werden. Es ist jedoch kein Sachbuch. Vielmehr kann die Geschichte von Bella Berlin helfen zu verstehen, weil sie auf emotionaler Ebene anspricht. In einer Art Nachwort wird dann auch das Gefühl „Angst“, was wir wohl alle kennen, auf einer Doppelseite thematisiert.
Es wird in dem Buch nicht explizit auf eine bestimmte chronische Erkrankung eingegangen, sodass sich in dem dargestellten Diagnoseweg viele Kinder wieder erkennen können. Mit Ida können sie verstehen, dass da etwas ist, was sie krank macht, dass dies eingedämmt und beobachtet werden muss. Außerdem kann der Berg im Funkelwald (Mir gefallen die metaphorischen Elemente.) für verschiedenste Erkrankungsgründe (Das Warum ist eine drängende Frage.) stehen oder Unerklärlichem (Manchmal dauert es schließlich lange Zeit bis zu einer passenden Diagnose.) eine Form geben.
„Ida und der Berg im Funkelwald“ ist im Sommer 2021 im Carlsen Verlag erschienen und für Kinder ab 3 Jahren. Die Erzählung rundum Ida ist genauso wie die Feengeschichte zugewandt, einfühlsam, kreativ, tröstend und mutmachend, was die liebe- und fantasievolle sowie diversitätssensible Illustration von Lena Hesse unterstreicht und mittransportiert. Mir gefallen die metaphorischen Elemente. Zudem zeigt sich wundervoll, dass ein betroffenes Kind nicht alleine sein sollte. Das Wissende und Unterstützende wichtig und nötig sind.
Außergewöhnlich! Ein Buch für Kinder mit seltenen Erkrankungen
Evren, der mit seiner Mama die folgenden Zeilen festgehalten hat, begrüßt die Lesenden. Er erklärt, teilt seine Erfahrungen, stellt Fragen, beschreibt, ermutigt und hebt seine Botschaften hervor.
Beginnend mit Identitäten, die wie Puzzle sind und aus verschiedenen Teilen (dem Charakter, Talenten, Eigenschaften, dem Aussehen,…) bestehen, leitet Evren über zu den Genen, die manchmal zu seltenen Krankheiten führen. Seine wird „ASMD“ abgekürzt und sein Körper kann einen bestimmten Fetttyp nur schwer abbauen. Ganz allgemein beschreibt er, wie es sich mit einer seltenen Erkrankung im Kindesalter lebt. Dabei erwähnt er verschiedene Bereiche und spricht auch unangenehme Gefühle an. Vor allem betont Evren allerdings, wie bereichernd es ist die verschiedenen Teile seiner Identität zu zeigen, wie gut es tun kann sich zu vernetzen und Erfahrungen zu teilen. Wir können außergewöhnliche Menschen sein, weil wir eine einzigartige Identität haben. Am Ende steht fest: „Deine seltene Krankheit bestimmt nicht, wer du bist.“
bestärkende Aussagen für den Selbstwert
Durch die persönliche Ansprache läd diese Lektüre ein über das Berichtete, Inklusion und ganz klar über die eigene Identität nachzudenken. Die gestellten Fragen regen ebenso zum Austausche an. Mit meiner Tochter kam ich dadurch auf neue Themen und wir überlegten zum Beispiel, was „Leid“ bedeutet. Wegen der Themenkomplexität würde ich das Lesealter nicht bei „ab 4 Jahren“ sondern bei „ab 8 Jahren“ einordnen. Die Schriftgröße, der ansprechende Schreibstil und die Gestaltung eignen sich für Kinder, bei denen die Basis des Lesens gelegt wurde.
„Außergewöhnlich! Ein Buch für Kinder mit seltenen Krankheiten“ entdeckte ich zufällig im Netz. Es war allerdings gar nicht so leicht zu bekommen. Ich musste jemanden fragen, der es für mich über das große A kauft, was ich sonst gerne vermeide. Erhältlich sind gebundene Ausgaben und Taschenbücher in mehreren Sprachen.
Evren und Kara Ayik teilen mit Herzblut, authentischer Überzeugung und lebensbejahender Energie ihre Botschaften. Sie betonen, dass Kinder mit ihrer seltenen Erkrankung einzigartig und außergewöhnlich sind und nicht wegen. Außerdem sollen sie sich durch die geteilten Erfahrungen weniger allein fühlen. Ian Dale ergänzt die Worte mit seiner aussagekräftigen, wertschätzenden, realistischen und feinfühligen Illustration. Am Ende der Lektüre fühlt sich das Herz leichter an. Meine Tochter jedenfalls möchte unbedingt herausfinden, wie sie ihre Potenziale entfalten kann. Empowerment fällt mir dazu ein. Etwas sehr wertvolles.
Geschichten bringen uns einander näher.
Geschichten, egal ob in Büchern oder im Netz geteilt, können Dinge verändern. Sie erzählen von dem, was vorstellbar ist, gewähren Einblicke in Lebensumstände und das individuelle Erleben. Lassen uns die Komplexität von Situationen und Themen erkennen. Manchmal erfahren wir Neues. Manchmal merken wir, dass es nicht nur uns so ergeht. Geschichten erweitern den Horizont. Aus ihnen erwächst Verständnis. Sie wirken auf unser Sein. Regen zum Nachdenken an. Machen Mut. Beeinflussen unser Denken und Handeln. Geschichten bringen uns einander näher. Im Innersten. Oder mit einem dieser Kinderbücher wortwörtlich.
Schaut euch die Beiträge zu den Hashtags #SeltenSindViele, #ShareYourColours, #RareIsProud, #LightUpForRare, #ForschungHilftHeilen, #RareDiseaseday und #TagDerSeltenenErkrankungen an.
Global und auf kreative Weise wird heute am Tag der seltenen Erkrankungen, dem Rare Disease Day 2023, sensibilisiert, inspiriert, Mut gemacht, vernetzt, Farbe bekannt, für eine besseres inklusives Leben gekämpft und statistische Zahlen bekommen ein Gesicht. Es wird erklärt, dass Behandlungen, Medikamente und Diagnosen keine Einheitsgröße für alle sind, dass der Fachkräftemangel im Gesundheitssystem fatale Folgen hat und Forschung und Chancengleichheit elementar wichtig sind. Es werden Geschichten geteilt, die uns einander näher bringen und gemeinsam kann Veränderung angegangen werden…
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Eure Anne
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