Familienplanung mit Turner-Syndrom
„Mama, du blutest.“, stellte meine Tochter, die ins Badezimmer gestürmt war, während ich mit einem Tampon hantierte, fest. „Ich sollte mir vielleicht angewöhnen die Tür abzuschließen.“, dachte ich. Nun gut. Mir blieb nur das Bejahen. Es folgten interessierte Fragen. Zur Periode. Zu „Auffangmöglichkeiten“ der Blutung.
„Du kannst dir die Gebärmutter wie eine Kammer vorstellen. Du hast es dir dort in meinem Bauch gemütlich gemacht. Jeden Monat wird die Kammer ausgepolstert. Wenn sich dort kein Baby einkuschelt, wird sauber gemacht. Das ist dann die Blutung. Nichts gefährliches. Ganz natürlich und wird „aufgefangen“ mit Binden, Tampons oder anderem.“, erklärte ich also auf dem Badewannenrand sitzend. Die Neugier des Kindes war noch nicht gestillt. Wir verließen das Bad.
Meine Tochter wollte es Montagabend um halb Acht ganz genau wissen.
Ich zeigte ihr also eine Grafik und musste ganz schön nach kindgerechten Worten in meinem müden Kopf kramen.
„Werde ich auch bluten?“, fragte meine Tochter. Tiefes Durchatmen meinerseits. Ich erklärte, dass ich nicht weiß, wie ihre Eierstöcke aussehen. Durch das „X- mal anders sein“ (als rote Blume). Diese schicken die Eizellen los. Für diese wird es gemütlich gemacht in der Kammer. Wenn keine Eizellen unterwegs sein werden, kann sich die Gebärmutter die Säuberung vielleicht sparen. Aber auch so ist es gut, wenn es eine Periode gibt. Für den ganzen Körper. Darum kann sie Tabletten nehmen. Versuchte ich zu erklären.
„Wir können das in ein paar Jahren mit dem Doctor besprechen.“, ergänzte ich. Ob es die Tabletten mit Erdbeergeschmack gäbe, wollte sie wissen. Und dann folgte eine kurze Pause.
„Mama, wenn da keine Eizellen sind, bekomme ich auch kein Baby?!“, schlussfolgerte mein Kind.
Folgerichtig. Mein schlaues Mädchen. „Das wird wohl so sein.“, konnte ich nur erwidern. Es folgte Jubel. Kinder wolle sie nämlich gar nicht bekommen. Das tue sicher weh und ist so anstrengend. (Seitenblick auf ihren Bruder, der friedlich spielte, da ihm das Gespräch zu langatmig wurde). Darauf hätte sie keine Lust.
Ich erinnerte mich: Während der Babyzeit vom Sohnemann imitierte meine Tochter mich. Stillte und umsorgte ihre Puppe. Der Jubel wird, wenn sie älter wird, nicht zwangsweise anhalten. Das sagte ich in diesem Moment nicht.
Diversität von Familien können wir im Bekanntenkreis erleben. In Kinderbüchern sehen. Dafür habe ich gesorgt. Nebenbei konnte ich also in den letzten Jahren einbringen, dass nicht erst ein Kind eine Familie ausmacht, dass nicht jede Frau ein Kind bekommen möchte oder kann, dass es andere Wege gibt für die Entstehung von Kindern.
Und wo wir grade dabei waren, zeigte ich ihr einen Netzfund.
Love Makes a Family
Aimee Morrow hat sich als Abschlussarbeit der Entwicklung eines Kinderbuchs über Unfruchtbarkeit und Familienplanung für Mädchen mit Turner-Syndrom gewidmet. Die endgültige Version entstand 2020 mit der Expertise verschiedener Professionen und wurde von Arianna Pappas illustriert. Auf digitale Versionen in Englisch und Spanisch kann zugegriffen werden. HIER.
In einem offenen und dynamischen Gespräch besprechen Mia und ihre Eltern verschiedene Möglichkeiten. Adoption, In-vitro-Fertilisation mit eigenen und gespendeten Eizellen und Leihmutterschaft werden angesprochen. Die Botschaft dabei wird deutlich: „Liebe und Zusammengehörigkeit zeichnen eine Familie aus“.
Nebenbei wird auf das Gefühl des Anderssein eingegangen und zusätzlich gibt es Informationen und Ratschläge.
Das Freisein in der Wahl
Diese Freiheit ist umstritten, unzureichend und besteht eben nicht für jeden Menschen.
Was sich nicht nur auf die Debatten bezüglich der Abtreibungsgesetze (in Polen) bezieht. Oder die Weiterentwicklungen bei der Pränataldiagnostik und die ethische Diskussion darüber, welches Leben lebenswert ist.
Aufklärung, Verhütungsmöglichkeiten und die Reproduktionsmedizin wirken auf die Entscheidung, wann Kinder geboren werden oder nicht, ein.
Social Freezing zum Beispiel, das vorsorgliche Einfrieren unbefruchteter Eizellen, nimmt scheinbar den Druck und macht unabhängig von der biologischen Uhr. Ist aber längst nicht für alle eine Option.
Die Wahl haben – Klingt so gut. So selbstverständlich. So erstrebenswert. Bloß ist es das gar nicht für jeden Menschen. Weil sie über nicht genügend Wissen(szugänge) oder die finanziellen Mittel verfügen. Oder aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen gar keine Wahl haben.
Turner-Syndrom und Kinderwunsch
Ich bin keine Expertin und verfüge nicht über genügend medizinisches Verständnis. Ausgetauscht habe ich mich dennoch über dieses Thema. Anonym darf ich die Gedanken einer jungen Frau mit Turner-Syndrom im gebärfähigen Alter mit euch teilen.
Frauen mit UTS werden in der Regel nicht auf natürlichem Weg schwanger. Lediglich ein wirklich ausgesprochen geringer Teil. Das ist kein Geheimnis. Allerdings gibt es Wege, mit dem Turner-Syndrom eine Familie zu gründen.
1. Eigene Eizellen werden eingefroren und später befruchtet eingesetzt.
Hier gilt, je früher die Eizelle entnommen wird, desto besser. Die „Bewertung“ der Eierstockreserven sollte im Alter von 13 oder 14 Jahren erfolgen. Dabei sind die Lagerungskosten sowie die Operation für Turner-Frauen bisher (noch?!) selbst zu tragen. Dieser Weg ist in Deutschland legal.
Außerdem sind einige Risikofaktoren, die für das Embryo und für die Mutter bestehen, vorher abzuklären. Dies wären unter anderem eine kardiologische Untersuchung und Anbindung während der Schwangerschaft, sowie die Knochendichte (etc.). Für das Kind einer Turner-Frau bestehen einige Risiken, darunter Trisomien wie Monosomien, körperliche und geistige Einschränkungen.
2. Gespendete Eizellen werden befruchtet und eingesetzt.
Die erste Option lässt sich durch eine Eizellspende umgehen. Dabei wird die Eizelle einer anderen Frau befruchtet eingesetzt. Natürlich müssen auch hier vorher die kardiologische Untersuchung, Knochendichte etc. berücksichtigt werden, das Risiko einer Schwangerschaft für die Turner-Frau ist und bleibt vorhanden, aber die Risiken für das Kind lassen sich minimieren. Für Eizellenspenden müssen sich Paare mit Kinderwunsch ins Ausland begeben.
Letztendlich gibt es auf beiden Seiten pro und contra Argumente, die individuell Berücksichtigung finden. Eine genetische Beratung von verschiedenen Ärzten hilft, sich ein möglichst objektives Bild zu verschaffen. Auch wenn es sehr mühselig ist, viel Zeit und Nerven in Anspruch nimmt, wäre alles andere, meiner persönlichen Einschätzung nach, unverantwortlich gegenüber dem potentiellen Kind.
Ein anderer Erfahrungsbericht dazu ist HIER lesebar.
Eine individuelle Entscheidung?!
Im letzten Frühjahr wurde entschieden, dass bei einer Krebserkrankung die Krankenkasse die Kosten für die Entnahme von Eizellen und die Lagerung übernimmt. Dadurch schöpften andere Menschen Hoffnung. Würde das beim Turner-Syndrom zum Beispiel auch der Fall sein?
Die Gründe für die verweigerte Kostenübernahme sind nachvollziehbar. Bei entnommenen Eizellen ist nicht klar, ob sie funktionsfähig sind. Da sie frühzeitig in der Pubertät entnommen werden würde, beträgt die Lagerungszeit mindestens 10 Jahre. Die Gesetze für die Kinderwunschbehandlung und die geringen Erfolgschancen spielen ebenfalls eine Rolle.
Die Situation, die körperliche Verfassung, die finanziellen Möglichkeiten sowie die persönliche Einstellung zum Kinderhaben sind individuell. Generalisierungen sind nicht möglich. Trotzdem ist das Bedürfnis eine Wahl zu haben sehr verständlich. Aber eben nicht immer gegeben. Damit darf gehadert werden.
Für meine Tochter müssen wir Eltern eine Entscheidung treffen. Ich hatte vor fünf Jahren schon darüber nachgedacht. HIER zu lesen.
Wir müssen mutmaßen. Wird sie wirklich (keine) Kinder haben wollen? Ermöglichen wir ihr, dass sie später wählen kann? Können wir uns das leisten? Wollen wir diese medizinisch Untersuchung bzw. spätere Behandlung, wobei ihre Eierstöcke und das Vorhandensein von Eizellen untersucht wird und diese eventuell entnommen und eingefroren werden? Oder wollen wir ein Kinderwunschkonto einrichten, sodass im Ausland eine Spende finanziert werden kann?
Egal ob träumerische Zukunftsfantasien vom Erwachsensein oder klare Lebensplanung früher oder später spielen Partnerschaft und Nachwuchs eine Rolle im Leben. Wir müssen eben früher darüber nachdenken und darüber reden.
Von der Regelblutung zur Familienvielfalt
Ohne konkrete Fragen von Krümelie wollte ich nicht über ihre körperliche „Ausstattung“, also ihre Eierstöcke, und die Problematik beim Kinder-kriegen, sprechen. So ergab sich nun also ein ungeplantes, offenes und interessiertes Gespräch. Auf das ich irgendwie dennoch vorbereitet war, weil ich mir ja schon Gedanken gemacht hatte.
Für mich bleiben immer noch viele Fragezeichen. Aber die Neugier meiner Tochter ist erstmal gestillt und sie wächst mit Wissen auf und weiß, dass ich ihr antworte, wenn sie mich fragt. Allerdings überlege ich ernsthaft, ob ich nicht lieber die Badezimmertür in Zukunft abschließe. Familienleben eben.
Für mich war es gut über die Jahre nebenbei die Diversität von Familien zu betonen. Ich denke, dass hat die Offenheit für Alternativen bei meiner Tochter unterstützt.
Für den deutschsprachigen Raum wünsche ich mir ebenfalls solch ein Kinderbuch wie „Love Makes a Family“. Angepasst auf die Möglichkeiten in Deutschland. Trotzdem mit den wunderbaren Botschaften. Eine Familie entsteht durch Liebe. Das Turner-Syndrom ist nur ein Teil und unterstreicht die Einzigartigkeit. So richtig. So wichtig.
Mich würden Erfahrungen zu diesem Thema interessieren. Was denkt ihr? Habt ihr Empfehlungen? Wie und wann erfahren Mädchen mit UTS am Besten von einer wahrscheinlichen „Kinderlosigkeit“ und Alternativen?
Anne
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