Wieso wir Vorlesemomente gestalten sollten…
„Nur wenn Gefühl und Fantasie erwachen, blüht die Intelligenz“
(Loris Malaguzzi)
Malaguzzi war und ist einer der Pädagogen, die in Reggio Emilia das Denken vom kompetenten und ausdrucksstarken Kind gelebt und verbreitet haben. Seine Worte formulieren auf eine poetische Art, wie frühkindliche Bildung verstanden werden kann.
Wenn wir uns in diesem Sinne fragen, zu was für Menschen unsere Kinder werden sollen, fragen wir uns auch, auf welche Art wir sie dahingehend unterstützen können… Wie können wir emotionale Beteiligung bzw. intrinsische Motivation entfachen? Wie kindliche Fantasie, magisches Denken, befeuern?
Und manchmal müssen wir uns auch unangenehme Fragen stellen. Wie kann es zum Beispiel sein, dass wir in unserem reichen Land ein Bildungsgefälle haben? Wie kann es sein, dass kindliche Intelligenz eingeht statt zu erblühen?
Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.
Obwohl ich finde, dass die Politik mehr für Kinder, in den ersten sechs Lebensjahren tun und außerdem die Rahmenbedingungen in Kitas verbessern sollte, und eine gesellschaftliche bewusstseinstieftende Debatte über die Bedeutung der ersten Lebensjahre nötig ist, richte ich meinen Fokus auf einen Aspekt, der elementar, umsetzbar und mit vielen Vorteilen aufwartet. Nämlich der Erkenntnis, dass Bücher und Geschichten, Gefühl und Fantasie beflügeln.
(Vor)Lesen bildet!
Bücher können gekauft und gelesen werden. Kann sich aber nicht jede Familie leisten. Die Bibliothek kann besucht werden. Aber mag jeder da hingehen? Und nicht jede Familie bzw. jedes Kind interessiert sich ganz selbstverständlich für Bücher und gemeinsame Lesezeitmomente.
Mir gefällt auch nicht jedes Buch. Und obwohl wir uns jeden Abend zusammenkuscheln und ich vorlese, hält sich mein Elan dahingehend manchmal ganz schön in Grenzen. Vorallem wen ich bei der Arbeit im Kindergarten schon viel gelesen habe.
Sind eigentlich die Vorteile und die unproblematische Unterstützung von frühkindlicher Bildung durch Kinderbücher bzw. durch die Interaktion beim Vorlesen immer klar?
Angenehme Beziehungsgestaltung, Entspannung, Wortschatz- und Wissenszuwachs – alles erreicht durch regelmäßige Vorlesezeiten und nebenbei eine ganze Menge Menschenrechte ausgefüllt. Super! Oder?
Selbstredend existiert auch eine Kehrseite. Geschichten, die Gesprächsstoff mit sich bringen, und wo es niemanden gibt, der zuhört. Wenn Vorlesen als Zwang empfunden wird. Die Bücher keinen persönlichen Bezug haben und eine Abneigung entwickelt wird. Wenn der Zugang missglückt ist.
Wie können wir also aus dem Vorlesemoment etwas BESONDERES machen?
Voller Stolz und mit ganz viel Begeisterung möchte ich euch von einem Beispiel aus meiner Arbeit im Kindergarten berichten.
Weil ich davon überzeugt bin, dass Gefühl und Fantasie durch Geschichten erwachen, wollte ich etwas Besonderes machen zu einem Buch oder mit einem Buch.
Passend dazu hat es sich ergeben, dass im Kindergarten zwei Bücherboxen von Librileo gemeinnützig ankamen.
Ich nahm also eine Büchersendung, hatte Decken und Kissen ausgelegt und ein bisschen Spannung aufgebaut. Die Kindergruppe war neugierig. Sie kamen auch darauf, dass da ein Buch angekommen sei. Der Inhalt jedoch interessierte dann nur mäßig. Die Runde löste sich schnell auf.
Ich überlegte mir, was zu dem Buch passen könnte. Klaviermusik zum Beispiel. Überlegte, dass ausgehängt bzw. ausgestellt der Inhalt der Sendung doch ein guter Gesprächsanlass sei. Eltern so auch Zugang hätten. Mich spricht das Konzept von Buch, Input und Spiel an. Ich integrierte es in unsere Kita-Bibliothek.
Es wurmte mich richtig, dass ich die Kinder für die Geschichte und das tolle Thema nicht begeistern konnte. Träume und Zukunftsfantasien – aus meiner Tochter sprudelte dazu eine ganze Menge. Aber das ist eben der familiäre Kontext. Das hat bei den Kitakindern eben nicht den Nerv getroffen. So ist das.
Das Buch „Der Bär am Klavier“ ist wunderschön illustriert und die Geschichte bzw. den Gedanken dabei – Du kannst alles werden, was du willst. – sollte jedes Kind hören. Es ließ mich einfach nicht los.
Meine Kollegin und ich haben also das Vorlesen anders gestaltet. Wir haben eine Revue daraus gemacht. Die Entstehung und Vorbereitung würde den Rahmen leider sprengen, daher hier nur das Ergebnis. Wenn ihr Fragen habt, schreibt doch gerne ein Kommentar.
Zwei Vorstellungen fanden im Saal statt. Vor der Tür wurde ordentlich gezappelt und dann betraten die Kinder die abgedunkelte Szenerie. Sie setzen sich auf Kissen im abgeklebten Zuschauerbereich mit ihren Gruppenerziehern. Nach der Begrüßung begann ich vorzulesen. Meine Kollegin Nina, als Bär verkleidet, spielte.
Nicht nur nach, was ich las. Sondern auch Klavier. Sie sang am Ende sogar sehr berührend. Für das beste Publikum überhaupt. Mit Projektoren und Folien leuchteten wir die Schauplätze an bzw. stellten sie dar.
Im Anschluss konnten und können die Kinder Buch und Klavier und Requisiten erkunden.
Ich bin gespannt, wie die Kinder beim nächsten Mal auf das Buch reagieren. Meine Hoffnung ist, dass wir die Kinder inspiriert haben. Dass sie dieses Buch zur Hand nehmen wollen und wir ins Gespräch kommen. Über das Werden. Über Träume. Über Klaviermusik. Und vielleicht nehmen wir dann ein weiteres Buch zur Hand.
Mehr Geschichten. Mehr Vorlesen. Mehr Chancen.
Am Revue-Tag war ich nachmittags in den Löwenladen von Librileo gemeinnützig eingeladen. Hier bei Caro (ebenfalls eine Gästin) und ihrem Vlog gibt es circa ab Minute 22 einen kleinen Eindruck dazu. Bereits zur Osterzeit besuchten wir den Pop-up Laden in Marzahn. Zur beginnenden Weihnachtszeit nun also waren mein Sohn und ich in Schöneberg vor Ort. Ein Begegnungsort. Ein Leseort. Bücher. Spielzeug. Kiezleben. Einladend mit verschiedenen Aktionen. Am 7. Dezember zum Beispiel stand ein Mini-Workshop zum Vorlesen im Kitaalltag auf dem Programm. Dabei tauschte ich mich angeregt mit Janine aus.
mein notierter Input zum Vorlesen & Umgang mit Büchern (im Kitaalltag)
- Es hat nicht nur Vorteile für die zuhörenden Kinder. Der Lesende profitiert auch davon – ist einem gar nicht so bewusst. Aber auch das Gedächtnis des Erwachsenen wird damit fit gehalten und auch er erfährt Nähe und Bindung.
- Zugang zu Büchern können ältere Kinder über Bilderbücher oder bildreiche Bücher bekommen, wenn sie in die Rolle des Erzählers schlüpfen können oder bei szenischen Nachstellungen. Stichpunkt: dialogisches Vorlesen
- Überraschungsmoment für „Beteiligung“, wenn der Protagonist das Kind/die Gruppe einbezieht durch Ansprache: Was würdest du jetzt machen? Kannst du mir helfen?
- Wertschätzungszugewinn im Umgang mit Büchern in Kindergärten durch Lieblingsbücher von Zuhause. Werden diese mitgebracht, können Nutzungsweisen besprochen werden mit den Gruppen. Die Kinder können die Frage -Wie soll mit meinem Buch umgegangen werden? – besprechen.
- Geschichten sind toll und vorlesen macht Spaß.
In diesem Beitrag laufen jetzt verschiedene Stränge zusammen. Mamasein und Berufsleben, eine Prise Aktivismus, ganz viel Bücherliebe und das Bedürfnis die Stimme zu erheben für das Recht auf Bildung von Kindern und das Potenzial von gelesenen Wörtern.
Wir sollten Vorlesemomente gestalten, weil sie uns zusammenrücken lassen. Auf neue Ideen bringen. Die Fantasie beflügeln. Bildung ist der wunderbare Nebeneffekt, wenn wir in Beziehung zueinander tretten. Es bringt uns auf jeden Fall einen Mehrwert, wenn wir uns das Lesen angenehm oder anders gestalten.
Was ließt du? Wie gestaltet ihr eure Vorlesemomente?
Anne
Blogs&BildungsarmutBücherChancengleichheitLesen bildetVorlesen
Heute ein Buch zum Vorlesetag 2020 - x-mal anders sein
[…] sich im Kinderzimmer und sind dekorativ im Wohnzimmer aufgestellt. Warum wir Bücher lesen und Vorlesemomente gestalten sollten mit unseren Kindern, bringt Astrid Lindgren auf den […]
Heute ein Buch - Komm mit, Lulu! - xmalanderssein
[…] auf fantastische Weise die Entwicklung von Kindern und überhaupt das Interesse an Wort & Bild. Bei wiederholtem gemeinsamem Vorlesen können Kinder Geborgenheit und Entspannung spühren. Das Angebot für literarische Ersterfahrungen ist vielfältig und das Themenspektrum breit. Ein […]
Welche Farbe hat ein Kuss? ♡ Kinderbuch, Kitaprojekt und Vorlesefieberx-mal anders sein
[…] im Dezember schrieb ich über Kinderbücher und gemeinsame Lesezeit (im Kindergarten), die bildet, die Wissen und Nähe bringt. Auch bei den Themenboksen (Inklusion und Regen) geht es […]