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Mädchensein und Ullrich-Turner-Syndrom – Muttergedanken

Mädchensein und Ullrich-Turner-Syndrom – Muttergedanken

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, der Wirkung, der Erscheinung und dem Geschlecht gehört zur Entwicklung dazu.

Dipl.-Psych. Angelika Bock schilderte für den Blogpost über äußerliche Merkmale des UTS, dass ihrer langjährigen Erfahrung nach Betroffene in der Regel nicht den Schönheitsidealen und aufgrund der Größe und ihres Körperbaues auch nicht den üblichen Konfektionsgrößen entsprechen.

Mir kam in den Sinn, dass mir beim Kauf von Sommerkleidchen bzw. neuen Anziehsachen für mein Tochterkind eine gewisse Problematik auffiel. Krümelie ist 89,5cm groß. Sie würde damit Kleidergröße 92 tragen, passt aber auch in 86 oder 98. Es ist wie bei Frauensachen allgmein; die Größenangaben, Schnitte und Maße variieren.

Ab Größe 92/98 findet jedoch meist der Wechsel zwischen Baby- und Mädchenabteilung statt. Die
Mädchenkleidung wird körperbetonter. Was ich im Übrigen sehr fragwürdig finde. Es bringt dahingehend Probleme, dass Krümelie´s Oberkörper in
manche dieser Schnitte nicht passt. Er ist breiter und die Sachen sind dann einfach zu eng und schneiden an den Bündchen oder Nähten an der Taille ein. Die obere Körperhälfte ist im Vergleich zur unteren wuchtiger und sie braucht unterschiedliche Größen.

Frau Bock äußerte weiterhin, dass Mädchen und Frauen mit UTS als solche und als mädchenhaft/weiblich wahrgenommen werden wollen. 

Spätestens an dieser Stelle beginnt mein Gehirn zuarbeiten. Mein mütterliches Herz wittert Gefahr. Mein Kind könnte an sich zweifeln, sich nicht schön und liebenswert finden, weil unser aller Empfinden von Schönheit auf perfekte, große, schlanke, mädchenhafte Frauen geeicht ist. Sie könnte sich und ihre Zuordnung als schwierig empfinden.

Was tue ich also?

In diesem jetzigen, prägenden Alter von Krümelie wird das Fundament erschaffen. Ich will, dass sie möglichst viele positive Erfahrungen abspeichern kann. Ich will ihr möglichst viel Handwerkszeug mit geben, damit sie gewappnet ist, wenn jemand ihre Weiblichkeit anzweifelt, wenn sie sich als solche empfindet, oder sie Mobbing wegen ihres Äußeren erfährt. Ist sie selbst mit etwas unzufrieden, soll sie wissen, wie sie selbst sich mit ihrem Erscheinungsbild wohl fühlen kann.

Oberflächlichkeit? Wenn ich „nachhelfe“ und mein Äußeres „aufmotze“ oder meine natürlichen Vorteile betone, dann fühle ich mich besser! Das strahle ich aus. Und wenn ich mit mir zufrieden bin, kann mich auch keiner hänseln. Das nicht allen das Gleiche gefällt, ist eine andere Nummer. Ich kann zu mir stehen, weil ich mir gefalle, darauf will ich hinaus.

Ich unterstütze Krümelie bzw. bremse sie nicht aus. Kleiderkauf und Wahlmöglichkeiten, was sie anziehen möchte, beinhaltet mein Plan. Gut, die Auswahl der Anziehsachen wird je nach Wetter und Situation auch eingeschränkt. Offene Schuhe bei Regen werden untersagt. Aber Taschen und Accessoires wie eine Sonnenbrille oder ein Haarreifen können ausgesucht und mitgenommen werden. Auch wenn Mama das am Ende in ihrer Tasche findet.
Nagellack und Lippenstift dürfen sowieso ausprobiert werden. Eincremen bzw. einölen nach dem Baden übernimmt die junge Dame mittlerweile selbst.

Ein weiterer Teil des Plans beinhaltet Vorbildsein. Mama pflegt sich anders als Papa. Und ich lege in bestimmten Situationen mehr Wert auf mein Erscheinungsbild als der Herr des Hauses. Nicht das er nicht auch gut aussehen will (und sieht). Er hat es schlicht leichter. Ich muss mehr nachhelfen.

Ein Beispiel

Wir tragen fleißig das „X-MAL ANDERS Ullrich-Turner-Syndrom! Ja, und?! – Buch und seinen Gedanken von der Vielfalt des Seins in die Welt hinaus. Dafür wurden wir an einem Sonntag im August fotografiert. Wofür ich im Beauty Salon meines Vertrauens von fachkundigen Händen „aufgehübscht“ wurde. Und wiederum dazu nahm ich Krümelie mit. Zeit für uns.

Haare. Make-up. Quatschen. Lachen.
Krümelie hat genau aufgepasst. Noch Tage später schlüpft sie in eine Rolle und ich muss mich vor einen (imaginären) Spiegel setzen. Sie hat wirklich genau aufgepasst. Bei jedem meiner Besuche bietet sie mir nämlich einen Kaffee oder Wasser an und streichelt mir über die Wange (eine Geste, um meine Haut zu testen, wie wir lernten). In ihrem Spiel stellt sie sich hinter mich und macht mir dann die Haare. An jenem Vormittag mit echtem Spiegel sah das dann so aus:

Foto aufgenommen von Krümelie bei Püppikram

Es war super angenehm, hatte Spaß gemacht, mich verwandelt und mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Genau das wollte ich Krümelie zeigen.

Die junge Dame und ich trugen dann zum Treffen mit einer freien Journalistin und einem Fotografen auch Kleider. Was bei mir Seltenheitswert hatte. Ich möchte meiner Tochter aber eben zeigen, dass ich Facetten habe. Und an diesem Tag passte es einfach. Krümelie wollte ihre Haare offen tragen, um ihre ganze Pracht zu zeigen. Ihre Entscheidung. So wird´s gemacht.

Krümelie ist ein Mädchen.

Jedenfalls definiert sie sich als solches. Jetzt. Genau jetzt. In diesem Moment beschäftigt sich Krümelie mit dem Mädchensein. Warum also nicht die Chance nutzen? Vielleicht will sie bald nur noch Hosen tragen, mit Auto´s spielen, klettern und anders sein. Sieht und nimmt sich anders wahr. Dann weiß sie, dass sie ein Mädchen sein kann und Dinge tun, die ihr gefallen, dass sie dabei jedoch immer sie selbst bleibt. Krümelie ist ein Mensch mit Persönlichkeit. Das kann ihr keiner absprechen.

Anne

Inter und divers oder einfach nur sein? – Gedanken dazu.

Kommentare

  1. avatarGückel

    Schade, dass Sie Ihr Kind Krümelie nennen. Ich finde es wichtig, einem Kind einen Namen zu geben, mit dem es sein Leben lang aufrecht ein ICH sein kann. Krümelie ist doch sehr kleinmachend. Auch, wenn Sie sie real nie so nennen, macht es doch etwas mit den Menschen, mit denen Sie Ihre Gedanken teilen.

    1. avatarAnne

      Hallo Gückel,
      Danke für das Teilen dieser Überlegungen.

      So ein Kosename drückt die engere Verbindung aus, ich wollte nicht „Kind 1“ oder so schreiben, darum also „Krümelie“. Entstanden aus der Freude über den „Krümel“, der auf dem Ultraschallbild zusehen war, und dem eigentlichen Namen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und für meine damals 3-Jährige war die Betitelung passend.
      In späteren Beiträgen bin ich dann dazu übergegangen von meiner Tochter oder meinem Tochterkind zu schreiben, da sie dem Kosenamen „entwachsen“ ist. Das ist Teil und Zeugnis unserer Entwicklung.

      Ob „Krümelie“ als kleinmachend empfunden wird, hängt von den eigenen Einstellungen und Bewertungen ab.
      Ich glaube außerdem, dass es gut ist, wenn ein Text „etwas“ mit uns macht, wenn wir merken, dass wir uns an einer Formulierung oder Anderem stören. Da ist dann ein Punkt, der uns bewegt und die Möglichkeit der Frage nach dem Warum nachzugehen.

      VG Anne