Ein Jahr – Trauerprozess
Ich kaufte Blumen. Stellte sie auf den Küchentisch. In Gedanken strichen meine Finger über die Blüten. Ich habe vergessen, welche ihre Lieblingsblumen sind. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Langsam sickert die Erkenntnis in mein Bewusstsein. Es schaudert mich.
Mag sein, dass es mit der Zeit leichter wird. Angst, Wut und Sehnsucht sich ablösen. Mag sein, dass Tränen versiegen. Wunden jedoch heilen nicht. Wir lernen bloß mit ihnen zu leben. Resignieren. Müssen annehmen, was sich nicht ändern lässt. Einen Umgang damit finden. Die Gewissheit bleibt. Das Leben ist endlich. Manchmal endet es sogar bevor es begonnen hat.
Die Hände der Kinder schoben sich in meine. So wie es meine oft getan hatte. Während wir die Treppe vom U-Bahngleis ansteuerten und die Bahn davon fuhr. Meine Heimatstation, dachte ich.
Mag sein, dass der Tod sich anschleicht und erlöst. Gewiss ist, dass am Ende keine Antworten mehr kommen. Kein Rat gesucht werden kann. Kein Meilenstein mehr begleitet und erlebt wird. Keine Hand mehr gehalten wird.
Wir tauchten aus dem Untergrund auf. Der Wandel des Kiezes ist sichtbar. Nur die Flut der Autos, die über die Straße rauschen und dieses eigentümliche Geräusch verursachen, ist geblieben. Und der Fernsehturm ziert unverändert den Blick in die Ferne.
Trauer lässt sich nicht in ein Schema pressen. Mag sein, dass Phasen durchlaufen werden. Mag sein, dass suggeriert wird, dass Trauer einen Ablaufplan hat. Doch es existieren keine Checklisten. Keine Messlatten. Keine allmächtigen Vorgaben.
Wir zündeten eine Kerze an. Ein Gedenklicht. Wir redeten. Ließen durch Erinnerungen weiterleben. Ich glorifiziere nicht. Ich bin ehrlich. Mit mir. Mit den Kindern. Versuche Brücken zu meinen Schätzen aus der Kindheit zu schlagen und setzte den Rotstift an. Ich weiß was falsch gelaufen ist, was mir heute gerne mal einen Strich durch die Rechnung macht, aber eben auch, was mich die Hoffnung nicht aufgeben lässt. Am Ende schickten wir Wünsche ins Universum und pusteten die Kerze aus.
Trauer ist ein Prozess. Ohne Zielgrade. Kein Mensch kann mir vorgeben, was ich wann und wie zu fühlen haben. Trauerjahr heißt es. Die ersten Mal seien die Schwersten. Das stimmt. Aber nun ist es nicht vorbei. Ich fühle mich seltsam entwurzelt. Immer noch. Ein Jahr reicht nicht.
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