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Mutterschaft ist politisch

Mutterschaft ist politisch

Vielfältig wie vielschichtig sind die Lebensrealitäten, in denen Mutterschaft gelebt, unbezahlte Care-Arbeit geleistet und Fürsorgeverantwortung übernommen wird. Dieses diverse Kümmern & Versorgen im Privaten bildet die Basis unserer Gesellschaft und wird stark beeinflusst von politischen Entscheidungen, gesetzlich bedingten Rahmenbedingungen und damals wie heute von normativen Vorstellungen. Es braucht Veränderung und ein Umdenken. Es braucht eine Politik mit und für Frauen, Mütter und Familien. Zur Stärkung der Rechte, zum Schutz, für investierende Unterstützung und ein wertschätzendes Miteinander. Darum

Mutterschaft ist politisch

Es geht mit Nichten „nur“ um individuelle Angelegenheiten von Einzelnen. Und es beginnt mit Wahlfreiheit. Welche Entscheidungsoptionen hat eine Frau in Bezug auf Mutterschaft? Gewollt Kinderlos – geht das? Manche haben die (finanzielle) Möglichkeit (in einer Partnerschaft) eine Kinderwunschbehandlung zu starten. Manche nicht. Wie selbstbestimmt kann eine gebärfähige Person sich also für oder gegen eine Schwangerschaft und über den eigenen Körper entscheiden? Welche diskriminierungsreichen und strukturellen Hürden, Zugangsprobleme und Vorurteile begegnen einem da? Wie kann reproduktive Gerechtigkeit gelingen? Wie kann die Wahlmöglichkeit (ohne strafrechtliche Konsequenzen und unter Druck setzender Stigmatisierung) gestärkt werden?

Wie wäre es zum Anfang mit der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen? Die Streichung des Paragraf 218 des Strafgesetzbuches wäre ein passender erster Schritt. Dieser Paragraf sorgt seit über 150 Jahren dafür, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich erst einmal strafbar ist. Zwar gibt es seit den 90iger Jahren eine Gesetzeslage, die bei medizinischen Indikationen und unter bestimmten Umständen Straffreiheit bedingt, jedoch die Rechtswidrigkeit nicht aufhebt. Und was wird damit der Gesellschaft signalisiert?

Ich möchte nicht gezwungen sein ein drittes Kind austragen zu müssen (oder fragwürdige bis lebensgefährliche illegale Methoden anzuwenden). Es wäre fatal für mich. Würde sich außerdem nachteilig auf meine aktuelle Mutterschaft auswirken. Im Allgemeinen würde eine Auseinandersetzung mit dem Thema und Neuregelungen für zum Beispiel wertfreie Aufklärung und dann Beratungen (im Allgemeinen und Besonderen übrigens auch in Bezug auf pränatale Diagnostik) und eine gesicherte Versorgung nicht bedeuten, dass keine Kinder mehr geboren werden. Es würde nur Selbstbestimmung (ein Menschenrecht – mal so am Rande) und Selbstermächtigung bestärken.

"Selbstbestimmung statt §218" auf einem Pappschild stehend bei der Demo " 100.000 Mütter"
"100.000 Mütter" Transparent bei Demonstration

Legitimierte Optionen ermöglichen eine ungezwungenere Lebens- bzw. Familienplanung.

Zwei Kinder habe ich geboren. Für sie habe ich mich entschieden. Ich war bei Untersuchungen, habe mich um eine Hebamme bemüht, Informationen gesammelt, Optionen abgewogen und schlussendlich Vorbereitungen getroffen. Welche Rolle eine frau- und familienzentrierte Geburtshilfe spielt und wodurch sie beeinflusst wird, war mir da noch gar nicht bewusst. Das Gesundheitssystem wankte übrigens auch vor 13 Jahren schon gewaltig. Ich jedoch füllte Anträge aus und fragte mich: Was wird, da und wenn die Nackenfalte des wachsenden Lebens auffällig ist? Wie wirkt sich die Veränderung auf die Partnerschaft und die Gleichberechtigung aus? Was wird von mir erwartet? Was bedeutet es sicher gebären zu können? Was braucht es dafür? Was kommt nach der Entbindung? Das Kümmern und Sorgen begann. Mutterschutz, Kindergeld und Elternzeit, Kitaplatzanspruch, Betreuungsschlüssel, zurück ins Berufsleben, Arbeitszeiten, Krankentage, zugängliche Bildungsangebote, der Schuleintritt… Die übergreifenden Rahmenbedingungen werden von gesetzlichen Regelungen gesteuert. Selbst wenn für mich Mutterschaft bedeutet: Über immer größer werdenden Wäschebergen im Familienalltag alles verantwortungsvoll im Blick zu behalten. Trösten, besorgen, organisieren, betreuen, herzen, Meilensteine dokumentieren und Termine managen. Schlaflosen Nächten trotzen, mitdenken, spielen, lächeln und am Besten noch zum Sport gehen. Vielleicht noch die eigene kranke Mutter betreuen. Doppel- und Dreifachbelastungen im ständigen Spagat. Wie kann das gut gehen? Und dann wirbelt(e) regelmäßig Unerwartetes den Alltag durcheinander. Umplanen, kümmern und sorgen. Wie kann da keine Erschöpfung entstehen? Wie kann Vereinbarkeit gelingen?

Wer schultert Verantwortung?

Die Liste, was beim Leben mit Kindern (und in Familien – wozu dann auch die Großeltern gehören können) alles unbezahlt und ungesehen geleistet wird, ist lang. Dabei geht es auch nicht ausschließlich um Frauen mit leiblichem Kind oder mehreren Kindern – allein oder partnerschaftlich. Da wären nämlich noch Bonus- oder Pflegemütter sowie trans, nicht-binäre und inter Menschen. Viele Menschen übernehmen Care-Arbeit in Bezug auf Angehörige, schultern Verantwortung für Andere und schließen damit eine Lücke im System. Ich denke da an fehlende Kitaplätze, das Schulsystem mit Unterrichtsausfall in maroden Gebäuden, die Betreuung und Unterstützung von pflegebedürftigen wie älteren Menschen oder ehrenamtliches Engagement. Bei all den Überlegungen kann ich Faktoren wie biografische Erfahrungen, vermittelte Erwartungsansprüche, Alter, Herkunft, Religion, die körperliche Verfassung, mentale wie emotionale Kapazitäten, finanzielle Möglichkeiten oder die Wohnsituation gar nicht umfassend denken und berücksichtigen. Fest steht für mich für alle braucht es legitimierte und gesicherte Optionen, damit das „geplante“ Familienleben eine tragbare Basis erhält und geschützt wird.

Ein komplexes Zusammenwirken

Das zeigt sich für mich. Trotz der mitunter individuellen Faktoren und dem Zusammenspiel verschiedener Voraus- und Umsetzungen scheint es wichtig zu verstehen, dass eben Vorschriften, Gesetze und Normen sowie deren Symbolwirkung bzw. Wegweisung für die Gesellschaft nebst deren Auswirkungen im Privaten (Nicht-)Mutterschaft in diversen Formen politisch (relevant) machen.

Für mehr und wirkliche Sichtbarkeit, Sicherheit, Selbstbestimmung, Anerkennung, Unterstützung, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und strukturelle Veränderungen setzt sich die Bewegung und Kampagne „100.000 Mütter“ ein. Um den politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen, ging es am 10. Mai 2025 vom Monbijou-Park zum Platz der Republik vor dem Bundestag. Seit Anfang des Monats ist die Liga für unbezahlte Arbeit als erste gewerkschaftsähnliche Interessenvertretung für alle familiär Sorgearbeitenden aktiv. Seit 75 Jahren setzt sich das Müttergenesungswerk ein, um die Gesundheit von Müttern, Familien und pflegenden Angehörigen zu verbessern. Equal Care, Auflösung des Gender-Care-Gap, leises Ausbrennen, Mental Load, Zeitdruck, das Unwohlsein der modernen Mutter, die kindliche Entwicklung, drohende (Alters-) Armut, Regretting Motherhood, intersektionale Gerechtigkeit, soziale Veränderungen, öffentliche und familienfreundliche Räume, Kinderschutz, Geschlechterrollen, Sparmaßnahmen bei Sozialer Arbeit, Klimawandel, Pubertät und Inklusion: So viele Themen (und längst noch nicht alle), die beschäftigen, zusammen wirken und mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Es gibt noch viel zu tun

Mutterschaft und Familien sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Lässt sich nicht oft genug betonen: Füreinander-Sorgen ist überlebenswichtig, verbindend, tragend, zusammenhaltend und unerlässlich. Für alle. Ganz simpel und grob geht es dabei um die Gestaltung des zukünftigen sozialen Zusammenhalts, die Volkswirtschaft und zum Beispiel das Umlageverfahren der Rentenversicherung, was eben alle betrifft. Ohne Care-Arbeit geht es nicht. Wir brauchen alle mal Unterstützung. Und dieses Kümmern ist eben auch Arbeit. Nur ohne Lohn und ausreichend Wertschätzung. Ich habe keinen detaillierten Gesamtüberblick. Verstehe das ganze Zusammenwirken nur bedingt. Habe meine eigenen ganz individuellen Erfahrungen, Herausforderungen und kann mit einem warmen Gefühl sagen, dass meine Kinder wundervoll sind. Bei all dem, womit ich mich befasse und was ich mir für Gedanken mache, denke ich: Es besteht Handlungsbedarf, damit alle ein besseres Leben führen können.

Pusteblume in Kinderhand vor dem Bundestag

Wünsche als Vorboten

Politische Entscheidungen durchdringen alle Aspekte des Lebens und spielen in den vielfältigsten Zusammenhängen eine entscheidende Rolle in Bezug auf Familien und Mutterschaft. Es besteht Reflexions- und Reformbedarf. Punkt. Es braucht Bewusstsein für die Wichtigkeit der Themen. Für die Bedeutung, dass eben diese in den Fokus der Gesellschaft gehören. Miteinander statt Gegeneinander. Mögen Wünsche nach Veränderung Vorboten des Wandels sein.

Was denkst du?

Eure Anne


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