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Anderssein und das Schöne daran #6 total normal

Anderssein und das Schöne daran #6 total normal

Voller Freude übergebe ich heute das Wort an Martina.

Sie ist zweifache Mädchen-Mama, eigensinnig, gut organisiert, schokisüchtig (sehr sympathisch) und die Bloggerin hinter „Jolinas Welt“, wo sie auch menschlich über das Down-Syndrom aufklärt.

Anderssein ist total normal.

Was bedeutet für mich anders sein?

Da muss ich wohl etwas weiter ausholen, so sind wir „älteren“ Frauen nun mal, wenn wir anfangen zu erzählen, kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste.
Zuerst möchte ich aber sagen: „Jeder ist anders.“. Die Meisten wissen es nur noch nicht.

Bis ich ungefähr 18 oder 19 war wollte ich auf keinen Fall anders sein. Ich wollte sein wie die anderen, genau so wie meine Freundin Anja*, oder wie Sabine*, die so toll in Sport war und so einen durchtrainieren Körper hatte, nie wollte ich ich sein, denn ich war ja anders.

Vielleicht hat mich meine frühste Kindheit geprägt, aufgewachsen in einem Kaff mit 190 Einwohnern und nur 2 gleichaltrigen Mädchen die blöderweise ein eineiiges Zwillingspaar waren. Da war es wieder, die waren gleich, ich war anders.

Ich konnte die beiden locker unterscheiden, denn so gleich waren sie gar nicht, nur um das zu kapieren sollten noch sehr viele Jahre ins Land gehen.

Ich konnte nie verstehen, was das Drama daran war, wenn jemand das gleiche Kleid auf einer Party trug. Einmal hatten aus Zufall Anja und ich die gleiche Jacke bei Quelle bestellt, ich sagte ja, ich bin älter und für die jüngeren unter Euch, Quelle war mal so was wie der Otto Versand.

Jedenfalls war ich happy, endlich war ich gleich – so wie Anja.
Was will ich eigentlich damit sagen?

Jeder ist anders, auf seine ganz eigene Art und das ist gut so und deshalb empfinde ich meine Tochter Jolina gar nicht so extrem anders. Ja, sie hat Beeinträchtigungen durch dieses blöde Extra Chromosom und das macht mich manchmal traurig und manchmal bin ich auch nur noch genervt, nach 8 Jahren darf man als Mutter auch mal genervt sein, nur wenige würden das offen zugeben.

Durch Jolina wurde ich ein bisschen so etwas wie eine Beichtmutter, der man „so etwas“ ja anvertrauen kann, weil ich im gleichen Boot der „Andersartigen“ saß.
Man glaubt nicht, wie viele vermeintlich „normale“ Kinder zur Ergotherapie gehen, oder zur Logopädie. Plötzlich gibt es in ganz vielen Familien einen Bruder, Neffen, Schwester, Onkel, der auch behindert war, oder sogar Down Syndrom hatte.

Dinge, die man sonst verschweigt um nur nicht „anders“ zu sein werden mir plötzlich erzählt.
Es ist wirklich so, anders gibt es, aber gleich, oder wie alle anderen sein, gibt es nicht.

Und hier schließt sich der Kreis. Die Zwillinge in meiner Kindheit waren grundverschieden, sie sahen für mich komplett unterschiedlich aus, bis auf die vielen Merkmale die gleich waren, die ich aber einfach außer Acht ließ, wenn es darum ging zu sehen, wer jetzt da vor mir stand und ihr Charakter war auch sehr verschieden.
Wenn mir heute jemand sagen würde: „Deine Tochter ist anders“ dann würde ich antworten „Du aber auch.“
Jeder hat sein Päckchen zu tragen und am Ende bedeutet das perfekte Aussehen, oder eine enorme Merkfähigkeit und angehäuftes Wissen gar nichts, wenn man nicht glücklich ist.

Viele könne sich nicht vorstellen, dass man auch ein Kind mit Behinderung als Bereicherung, oder das totale Glück empfindet, ist aber trotzdem so, auch wenn man sich manches gerne anders wünschen würde.

Das Schöne daran

Seit ich weiß, dass ich nicht so sein muss wie die anderen, weil das ja gar nicht geht, bin ich einfach ich, anders als jeder einzelne Mensch auf dieser Erde, manchmal ein bisschen mehr und manchmal ein bisschen weniger.

Das zeige ich auch in meinem Blog, wir sind eine total normale Familie, so gleich und so anders wie jede andere Familie auch.

Nach der Geburt von Jolina habe ich Normalität in anderen Blogs gesucht, weil ich dachte, jetzt wird alles „anders“.

Heute möchte ich mit „Jolinas Welt“ genau das an andere weiter geben und deshalb geht bei mir im Blog auch alles durcheinander mit vielen Themen, denn unsere Familie ist nicht nur Down Syndrom. Sie ist tanzen, Musical, nähen, kochen, Reisen, Ausflüge und manchmal einfach nur nichts tun.
Das Coole am Anderssein von Jolina ist, dass unheimlich viel Druck genommen wird. Ich weiß, sie wird nie Abitur machen, das entschleunigt. Sie muss nicht irgendein Klassenziel in der und der Zeit erreichen, sie darf in ihrem eigenen Tempo mit ihrem eigenen Lehrplan lernen.

Das wäre für alle anderen Kinder ein großer Gewinn, allerdings extrem utopisch.

Schlusswort

Was ich mir von allen anderen wünsche, und da haben wir das Wort anders schon wieder in anderen mit drin, ich wünsche mir einen Blick über den Tellerrand.

Ich wünsche mir, dass die Menschen einsehen, dass jedes Leben wertvoll ist, so wie es ist und das Anderssein nicht schlimm ist, sondern total normal.
Jolina wäre gar nicht so besonders und anders wenn nicht 90 % der Kinder mit Down Syndrom abgetrieben würden. Plötzlich gäbe es ganz viele und dann wäre es noch mehr normal.

Wer gibt uns denn das Recht zu entscheiden, ob ein Kind mit Behinderung jetzt schlechter ist als ein anderes, für das es auch keine Garantie gibt, dass es mal nicht als Massenmörder, oder schräger Vogel endet. Also bei Jolina weiß ich schon mal, den Schwerverbrecher kann ich dank ihrem Down Syndrom ausschließen.
Wichtig sind nicht unser Aussehen, unsere Lernfähigkeit oder unsere Herkunft.

Wichtig sind unsere Taten und das ist das was uns einmal übrig bleiben wird und am meisten erinnert man sich an Menschen, die noch ein bisschen mehr anders als die anderen waren, im Guten wie im Schlechten.

*Name geändert

Vielen Dank, Martina. ❤

Zum Blog „Jolinas Welt„, zur Facebook-Seite hier und bei Instagram könnt ihr hier schauen.

Was ist für dich Anderssein? Was ist das Schöne daran?


AndersseinChromosomenDown-Syndrom

Kommentare

  1. avatarMartina von Jolinas Welt

    Dankeschön, dass ich bei dir ein bisschen Gast-Schreiben durfte.
    Es hat mir große Freude gemacht, deinen Lesern ein bisschen meine Vorstellung von „anders“ zu erzählen.
    Und ich freue mich auf weitere spannende Ansichten
    LG
    Martina