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Über Erziehung und Geben und Nehmen

Wenn ein Baby geboren wird, wird ein Baby geboren. Kein leeres Gefäß. Kein Roboter. Keine Kopie eines anderen Menschen. Vielmehr erblickt da ein wunderbares Individuum das Licht der Welt. Unschuldig. Mit viel Wissen und einer Menge Potenzial. 

Meine Einstellung zum kindlichen Sein fließt in meine/ unsere Erziehung ein. Der Umgang mit meinen/unseren Kindern ist von Liebe und Wertschätzung geprägt. Nein, natürlich nicht alles gestaltet sich harmonisch, ich bin nicht immer geduldig und verständnisvoll und schon gar nicht läuft unser Zusammenleben ohne Konflikte ab. 
Doch ich bin ohne Gleiches dankbar dafür, dass mein Tochter geboren wurde – was mit dem Ullrich-Turner-Syndrom ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Ebenso bin ich glücklich, dass mein Sohn da ist. Was soll ich schreiben… unsere Kinder sind wunderbar. 

Und ich sorge mich – um sie, ihre Zukunft, um die Welt, in der wir leben. Ich überlege. Was will ich … was müssen wir unseren Kindern mit auf den Weg geben? Wie können sie sich entfalten? Wie kann ich sie doch ein bisschen in Watte packen? Wie dazu bei tragen, dass sie auf sich und ihr Bauchgefühl vertrauen?

Meine Tochter kommt langsam in ein Alter, in dem sich ihr die Welt eröffnet. Die Umwelt wird präsenter, ihr Spielraum größer. Gleichzeitig existiert die deutliche Trennungen zwischen Fantasie und Wirklichkeit, „Gut und Böse“, der Weitblick und die Abschätzung von Folgen noch nicht. Wir sind nicht immer um sie. Sie darf auf dem Spielplatz auch einmal aus meinem Blickfeld verschwinden, sich in einem gewissen Rahmen bewegen und im Gebüsch sitzen und kichern. Sie ist mit dem Warum-Zeitalter auch soweit, dass sprachliche Erklärung gefordert werden, die mittlerweile abstrakter werden können. 

Und da fangen sie an die „großen“ Erziehungsaufgaben. 

Momentan beschäftigt uns eben der Umgang mit Fremden und die Annahme von Geschenken. 

Ich schrieb hier über „Von Fremden wird nix genommen!„. Darunter kommentierte die liebe Katrin. Ich hole ihre Gedanken von dort hier her. 

Hallo Anne,

ein schwieriges Thema. Ich grübel auch seit einigen Jahren sporadisch immer mal wieder darüber nach. Und es wird nicht einfacher, und ich finde auch keine wirklich abschließende Position dazu. 
Zunächst finde ich es problematisch, die Schubladen „Fremd“ und „Nicht-Fremd“ zu öffnen und dann noch mit den Kategorien „gut“ und „böse“ zu belegen. Es impliziert Verallgemeinerung, Intoleranz und Vorurteile und ist eigentlich auch schlichtweg falsch. Nicht jeder Fremde hat böse Absichten (eigentlich auch ein sehr angsteinflößendes Weltbild) und leider hat auch nicht jeder „Nicht-Fremde“ gute Absichten. Im Gegenteil, die meisten Übergriffe erfolgen leider!!! von „Nicht-Fremden“. Und obendrein sind die Grenzen zwischen „Fremd“ und „Nicht-Fremd“ verwaschen. Gerade Kindern fällt diese Unterscheidung extrem schwer. Was ist mit der Wurstfrau, die man regelmäßig beim Einkaufen sieht, was mit dem Hausmeister, der von den Eltern sogar in die Wohnung gelassen wird, wenn Reparaturen anfallen, was ist mit den Eltern von Kita-Freunden, was mit Spielplatzbekanntschaften, und was ist [wenn wir jetzt mal vom „Nichts-von-Fremden-nehmen“ auf das „Nicht-mit-Fremden-mitgehen“ schwenken] verkleideten Polizisten, Feuerwehrmännern, Superhelden, Clowns etc.??? Sind sie „Fremde“ oder „Nicht-Fremde“? Unsere Kinder kennen sie doch. Vielleicht ist ja dort jemand dabei, der weitaus schlimmere Absichten als eine „Fremde“ in der Tram hat? Wollen wir als Eltern hier überall Misstrauen säen? Aber andererseits wollen wir unsere Kinder natürlich vor allen möglichen Gefahren schützen. Aber wir wollen doch nicht eigentlich vor Fremden schützen, sondern vor Menschen mit bösen Absichten. Und umgekehrt sollten wir auch vor „Nicht-Fremden“ schützen, die böse Absichten haben könnten; aber in einer Warnung vor Fremden nicht inbegriffen sind. Und woher ziehen wir als Eltern eigentlich unsere Informationen, dass ein Bonbon von dem einen okay und von dem anderen nicht okay ist? Ich denke, es ist meist das Gefühl des Vertrauens oder Nicht-Vertrauens in die andere Person. Und genau darin bestärke ich meine Kinder. Sie sollen auf ihr Bauchgefühl hören (welches ja bei Kindern sogar noch ausgeprägter sein soll als bei uns Erwachsenen). Sobald sie ein „komisches“ Gefühl haben, sollen sie „Nein“ sagen. Ich definiere dieses „komische“ Gefühl auch nicht näher, da ich es eh nicht genau beschreiben kann und es auch nicht in eine bestimmte Richtung lenken und dadurch einschränken möchte. Sie müssen es auch nicht erklären oder sich rechtfertigen, wenn sie etwas aus diesem Gefühl heraus ablehnen; und erst recht nicht, wenn es sich um ihren Köper bzw. Körpernahbereich handelt. Hierbei ecken mein Sohnemann und ich [die Große ist aus diesem Alter schon heraus] manchmal an, weil er beispielsweise zur Begrüßung nicht seine Hand geben muss, wenn er es nicht will, oder ich ihn z.B. auch nicht gegen seinen Willen in der Öffentlichkeit umziehe. Da kann die Hose noch so dreckig sein, seine körperliche Selbstbestimmung geht in diesen Beispielen vor. Sie sollen über ihren Körper bestimmen, über die Grenze und den Abstand, den sie zwischen sich und anderen ziehen. Sie sollen lernen, dass sie einerseits Vertrauen zu anderen haben können, aber andererseits auch energisch „Nein“ sagen, wenn dieses Vertrauen nicht da ist (sondern ein komisches Gefühl), und zwar ohne „wenn“ und „aber“ und auch egal, ob „Fremd“ oder „Nicht-Fremd“. Und somit dürfen meine Kinder auch selbst bestimmen, wessen Bonbon sie in sich hineinstopfen, oder ob sie doch lieber „Nein danke“ sagen (und ja, das können auch schon Dreijährige trotz Anblick von Süßigkeiten;)). Aber es gibt bei uns eine Regel im Zusammenhang mit dem „Nicht-mit-Fremden mitgehen“, allerdings ist es entkoppelt von „Fremd“ oder „Nicht-Fremd“, d.h. meine Kinder (also die Große entscheidet auch das schon selbst) dürfen außer mit Mama/Papa/Oma nur mit jemandem mitgehen, wenn es vorher mit Mama/Papa so abgesprochen ist und zwar egal, ob „Fremd“ oder nicht. Ich glaube, das ist für mich bzw. uns der beste Weg. Auch wenn ich manchen Bonbon ablehnen würde, den mein Kind gern annimmt. Dann ist es wie auf dem Spielplatz, wenn die höchste Rutsche bestiegen werden muss, und ich als Mutter mit Herzrasen untenstehe und mir immer wieder gut zurede: wird schon alles gutgehen; Kinder klettern nur soweit, wie sie es tatsächlich schon können …). Das Gefühl ist ähnlich und es ist wirklich nicht immer einfach. Aber Kinder können nur lernen, wenn sie sich ausprobieren dürfen, wenn wir sie loslassen (so schwer es auch für uns ist). Wir können ihnen nicht alles vorebnen, den Weg mit Ge- und Verboten glätten; aber wir können sie bestärken und das Rüstzeug mitgeben. Wir werden nicht alles von ihnen abwenden können, denn sie gehen ihre eigenen Wege – ohne dass wir beständig bei ihnen sind. Was ist dann mit Halloween, wenn sie mit all ihren anderen Freunden um die Häuser ziehen wollen, um Bonbons von Fremden einzusammeln (noch fahre ich hier beim Dreijährigen die Vermeidungsstrategie, wohlwissend, dass das bald nicht mehr funktionieren wird), was ist mit Erziehern/Lehrern/Trainern im Sportverein, denen wir unsere Kinder anvertrauen (und dann selbst nicht mehr dabei sind), was ist, wenn … Es bleibt nur: auf unsere Kinder zu vertrauen und zu hoffen, dass sie für sich die richtige Entscheidung treffen, und sich trauen „Nein“ zu sagen, wenn sie das möchten. Darin sollten wir sie bestärken. Es ist und bleibt schwierig… 

Liebe Grüße von Katrin von boah-constrickter

Es ist und bleibt schwierig. Es ist ein schmaler Grad – besonders in der Großstadt. Vielen Dank, dass du deine Überlegungen mit uns geteilt hast. 

Wenn es um „Elternthemen“ geht, prädigen viele, dass wir auf unser Bauchgefühl hören sollen. Wir sollten Kinder auch ihrem Instinkt vertrauen lassen. Ich habe viel Vertrauen in meine Kinder. Aber manchmal nicht in die Welt. Und alles ist nicht nur Intuition, sondern manches eben Vorbild und Erziehung. 

Vielleicht sollten wir auch öfter „Nein sagen“, wenn uns ein scheinbar tolles Angebot (Nimm 3, Zahl 2) in Rot vergessen lässt, dass wir eine Sache gar nicht brauchen. Wenn ich ein bisschen mehr nehme, bin ich glücklicher. Wirklich? Vielleicht stört mich das ständige Nehmen? Vielleicht sind mir manchmal auch nur zu viele fremde Menschen „dabei“? 

Erziehung von „an der roten Ampel wird stehen geblieben“ bis „das ist Gut oder Böse“ passiert ja zum Glück nicht nur an einem Tag und zum Glück gehört da mehr als nur eine Erfahrung dazu. 

(Meine/ unsere) Erziehung basiert auf der fröbelschen Weisheit und wir werden uns das wohl zum Herzen nehmen: 

„Erziehung ist Beispiel und Liebe – sonst nichts.“ 

Friedrich Fröbel

Die verflixte Linkparty im April von Wiebke (Blog: Verflixter Alltag) beschäftigt(e) sich auch mit dem Thema „Erziehung“. 

Wie ist eure Meinung? 
Anne 

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