Wolkenansicht und Cloudzeichen

Wolken symbolisieren Unbeständigkeit, Veränderung, gar das Ungebunden-Sein. Im Zusammenhang mit Daten und dem Internet ist das anders. Hier steht das Wolken-Symbol fürs Speichern. Ist das nicht paradox? Die Gruppenausstellung „Songs of the Sky“ – Photography & the Cloud“ vom 11.12.2021 bis 21.4.2022 im C/O Berlin widmete sich dem, der klassischen, künstlerischen bis darstellenden, Fotografie von Wolken und dem Digitalem.
Blick in den Himmel
Seit jeher blickten die Menschen in den Himmel. Aus naturkundlichem Interesse. Sie erkannten, was Wolken über das Wetter verrieten, hofften auf Regen etwa, und verfolgten Naturschauspiele. Sie erforschten die kondensierten Wasserdampfgebilde und ihre Entstehung. Gleichzeitig wurden die Wolken mit der Mythologie und dem Glauben verbunden. Trugen die göttliche Macht, zeigten die Befindlichkeiten der Götter oder waren (sind) schlicht das Siedlungsgebiet der Engel. Sehnsuchtssymbolik und Projektionsmöglichkeit lassen uns auch heute noch hochschauen. Oder nicht? Wolken sind ein Phänomen. Beständig anders und doch irgendwie vertraut gleich. Was erkennen wir in flauschigen Formen, sich auftürmendem Grau oder wolkenlosem Blau? Lassen wir unsere Eindrücke mit den Wolken ziehen oder bannen wir die himmlischen Szenen in einem Format?
vom Analogen zum Digitalen

Aufgeregt besuchte ich am vorletzten Tag die Ausstellung, die sich mit dem Motiv der Wolke auseinandersetzt. Ich zückte gleich erstmal das Smartphone. Knipste. Schmunzelte in mich hinein bei der Betrachtung meines Schnappschusses. Die umgekehrte zweite Wolke von meinem Foto war in Wirklichkeit gar nicht da. Ein Sinnbild. Gespeichert in der Cloud.
Das Medium Fotografie wurde bereits 1922 maßgeblich durch den Fotografen Alfred Stieglitz von der Wirklichkeitsabbildung in die Abstraktion geführt. Heute können wir so viele Bilder knipsen, wie wir wollen. Müssen diese nicht entwickeln oder andere Verfahren anwenden. Wir können sie speichern. Spielerisch bearbeiten. Uns aussuchen, was wir festhalten, wie abbilden und teilen. Was kunstvoll oder künstlerisch, malerisch oder abstrakt dargestellt wird, entscheiden wir. Die Technologie dahinter, die Veränderung und Symbolik, bleibt unserem Blick dabei verborgen…

Die monochromen Bilder, in diesem unnatürlichen Blau, faszinieren. Die Vorstellungskraft wird gereizt. Diese Cayanotypien der Reihe „The Celestials“ von Simon Roberts wurden mit überskalierten digitalen Negativen von Bildern, die aus einem Flugzug heraus aufgenommen wurden, erstellt. Bei der Cyanotypie wird das Negativ auf lichtempfindliches Papier gelegt und durch UV-Licht beginnen sich die hellen Stellen zu verfärben. Nach der Belichtung werden die chemischen Substanzen mit fließendem Wasser entfernt. Fotochemischer Blaudruck. Lichtpausdruck. Ein altes fotografisches Verfahren. Bei dem blaue Eisenkristalle bleiben.

Bei Trevor Paglens Reihe „CLOUD“ wird das In-Die-Wolken-Schauen wörtlich genommen. Die geometrischen Kreise zeigen die Suchbewegung einer KI-Software, die versuchte ein Motiv zu erkennen und versagte. Es fehlte an Anknüpfungspunkten. Form und Formlosigkeit begegnen sich.

Bei der Arbeit von Evan Roth geht es um die physische Infrastruktur der Cloud. Internetbasierte Mehrkanal- Videoinstallation. Glasfaserkabel transportieren unsere Daten durch infrarotes Licht. Dort, wo die Unterwasserverbindungen das Meer verlassen, wurden infrarot gefilmte Slow-Motion-Videos gedreht. Was und wie sehen wir (dort)? Ich blickte auf die Monitore. Wie durch Fenster. Auf eine andere Art. Wie geht die Übertragung vonstatten? Was nehmen wir alles nicht wahr? Welche (Macht)Strukturen stecken hinter der Technik?
Perspektivwechsel
Obwohl in der Gruppenausstellung weit mehr gezeigt und thematisiert wurde, teile ich hier diese drei Beispiele. Repräsentieren sie doch den Wandel der Zeit für mich auf besondere Weise. Motivisch. Wiederspiegelnd. Künstlerisch. Metaphorisch. Bewusstseinsstiftend. Zeigen, was mir nicht so im Bewusstsein war.
Ich blicke dem Geschehen am Himmel gerne zu. Entdecke, nicht nur mit meinen Kindern, allerlei Figuren und Wesen. Da ist es mir egal, was so eine KI erkennt oder nicht. Ich weiß (mehr oder weniger), wie Wolken entstehen, welche Arten unterschieden werden und welche Rolle sie spielen. (Kinderbuch sei Dank) Auch auf andere Weise beschäftigt mich der Blick in die Wolken und ich schaue sehnsuchtsvoll hoch und nach. Mit dem Wunsch ungebunden zu sein. Ich schätze (ob nun fotografische, malerische oder plastische) Wolkenkunst. Genauso wie Schnappschüsse mit dem Handy.
Durch ihre stete Formwandlung bleiben für mich Wolken wie Momente und ja auch Gefühle&Gedanken flüchtige Erscheinungen. Aufkommend. Vorüberziehend. Frei. Formlos. Es scheint nicht nur mir so zu gehen. Sonst würden die Meisten nicht eben dies mit einer „Cloud“ verbinden. Dadurch unsere festgehaltenen Daten ungesehen in „Form“ oder Formate bringen (lassen). Dabei außer Acht lassen, dass hinter der Technologie eine enorme Rechenleistung mit immensem Energieverbrauch steht. Das Symbol der Wolke mit dem Netz zu verbinden tarnt und täuscht. Wir achten auf „die Flügel“, die gar nicht so frei sind, wie wir meinen, und missachten gleichzeitig die gebrauchten „Wurzeln“. Die Hard Drives, Server, Glasfaserkabel, Bildschirme…
Sollten wir die Blickrichtung ändern?
Eigentlich müsste uns das (Infra)Rot (statt Blau wie bei dem fotochemischen Verfahren) warnen? Warum tut es das nicht? Weil wir es nicht sehen? Weil wir nicht über die Entstehung, den Kreislauf und die Zusammenhänge Bescheid wissen? Die chemische Reaktion und unmittelbare Auswirkung fehlt? Was ist bei all dem technischen Fortschritt und der Digitalisierung wichtig? Vielleicht wäre es zum Anfang gut den Blick vom Bildschirm zu heben und in die echten Wolken zu schauen… vom Digitalem zum Analogen?
Was denkst du?
Eure Anne
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